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Erziehung - Darf ich ich mich einmischen?

Gerade in der Bedürfnisorientierung sind wir alle sehr davon überzeugt, ziemlich genau zu wissen, was das Richtige für Kinder ist. Wie der aktuelle wissenschaftliche Stand ist und wie Kinder am besten groß werden. Wir haben uns belesen, reflektieren den Umgang mit unserem Kind, nutzen Reboarder, lassen unsere Kinder ganz viel mitbestimmen, begegnen unseren Kindern auf Augenhöhe, handeln Kompromisse aus, wissen das Bestrafen und Schimpfen schädlich ist.

 

Das Problem? 

Gerade in der BO sind wir alle sehr davon überzeugt, ziemlich genau zu wissen, was das Richtige für Kinder ist. Wir denken, wir wissen, was das einzig Richtige ist. Welche DIE beste Umgangsform für Kinder ist.

 

Jetzt höre ich einige sagen "Ist ja auch so." Aber warum, finden wir immer was zu bemängeln? Selbst dann, wenn unser Umfeld auch bedürfnisorientiert unterwegs ist?

 

Wieso sind wir so kritisch miteinander?

Es gibt verschiedene Einflussfaktoren, die uns dazu bewegen. Zum einen anerzogene "Stutenbissigkeit". Durch Hollywood-Romantik-Komödien haben wir inhaliert, dass Frauen um Männer kämpfen, dass Frauen in Konkurrenz zueinander stehen, dass Frauen "zickig" und "biestig" zueinander sind, dass es cool ist, wenn man als Frau, mit den Männern abhängt und vermeintliche "Männereigenschaften" aufweist. Wir haben nicht gelernt, wie großartig, sich Frauen unterstützen und empowern können, was für krasse Energien sie im Miteinander wachsen lassen können. Wir haben nicht gelernt, uns zu verbinden, sondern uns als Gegnerinnen wahrzunehmen. Alles wird genau beäugt und bewertet.

 

Alles wird bewertet

Und das führt gleich zum nächsten Punkt. ALLES wird bewertet. Egal ob männlich oder weiblich sozialisiert. Körper, Kleidung, Verhalten, Gefühle. ALLES wird bewertet. Wir sind kaum in der Lage, Dinge neutral zu beobachten und zu beschreiben. Wir sind sofort in der Bewertung. Ja, ich darf wie ein Kind wahrnehmen "Der Mann hat einen großen Bauch", aber ich muss keine Bewertung hinterherschieben.

 Ja, die Mutter meckert gerade mit ihrem Kind. Wir wissen aber nicht, was alles dahintersteht. Wie viele Versuche die Mutter vielleicht schon unternommen hat, es anders zu klären, wie gestresst sie ist, wie viele Wutausbrüche sie bis eben schon liebevoll begleitet hat, wie geduldig sie angeschaukelt hat, obwohl sie hungrig und erschöpft war. (hier weiterlesen Arschlochkind)Wir wissen es nicht. Aber wir urteilen. Und das ist kein Vorwurf. Wir tun es, weil wir es so gelernt haben. Aber jetzt, wo wir es wissen, können wir bewusst darauf achten. 

 

Konkurrenz schüren

Mit der Bewertung einher geht das Konkurrenzdenken - auch außerhalb der weiblichen Welt. Denn in Kita und Schule stehen Wettbewerbs- und Vergleichsdenken ganz oben - oft wird dieser Wettbewerb auch bei Geschwistern geschürt. Gerade bei Geschwistern besteht eine natürliche Rivalität um die Gunst und Aufmerksamkeit der Bezugspersonen. Dies kann aber durch Vergleiche künstlich intensiviert werden:

"Jetzt mach doch mal, sogar dein kleiner Bruder traut sich das schon"

"Deine große Schwester konnte das aber schon früher als du"

"Guck doch mal, er hat sich auch eine Mütze aufgesetzt"

 

Btw: Diese Vergleiche fallen uns dann in Pubertät auf die Füße

"Und wenn xy von der Brücke springt, springst du hinterher oder was?!" 

Wir vergleichen uns also und wollen die besseren/besten Mamas*Papas sein, damit wir endlich geliebt werden.

 

Das Paradox der Erziehung - öffentlich oder privat?

Dazu kommt das Paradox, dass wir einerseits unsicher sind, ob wir bei gewalttätigen Übergriffen gegenüber Kindern das Recht haben, uns "einzumischen" und Erziehung andererseits etwas Öffentliches zu sein scheint. Frauen werden in der Öffentlichkeit von Fremden vor Fremden etwas so Privates gefragt werden wie

"Möchtest du eigentlich Kinder haben?"

"Bist du etwa schwanger?"

Das kann demütigend sein (wenn zB eine Frau einfach nur einen Bauch hat) oder auch verletzend (wegen Fehlgeburt oder unerfülltem Kinderwunsch), aber vor allem ist es einfach kein Smalltalk-Thema. Die nächste Stufe wird dann mit Babybauch erreicht, wenn Wildfremde einfach ungefragt den Bauch anfassen (Mein Körper, meine Grenzen. Fass mich nicht an!) und auch Geburtspläne plötzlich zu Smalltalk-Themen werden und Frauen wegen ihrer Entscheidungen für beispielweise eine Wunsch-Sectio verurteilt werden. (hier weiterlesen Selbstbestimmte Geburt

 

Der einzig richtige Weg ?!

Denn offensichtlich scheint es immer nur ein Richtig zu geben. Du bist eine Frau, also willst du natürlich ein Kind. Du siehst gesund aus, also wirst du natürlich auch einfach schwanger. Und natürlich geht Geburt nur auf diese eine richtige Weise. Und es geht weiter mit dem Stillen, dem Tragen, dem Co-Sleeping, dem Abhalten oder wenigstens den Stoffwindeln und warum sollten wir dann noch Halt vor der Erziehung machen?! Wir wissen es doch besser. Wir kennen doch den einen richtigen Weg. Oder?

 

Was wir (nicht) wissen...

Ja, wir kennen die Studienlage. Aber was wir nicht kennen, ist das Schicksal eines jeden einzelnen Menschen, den Rucksack, der für alle unterschiedlich beladen ist, die Voraussetzungen und Bedingungen unter denen das Kind begleitet wird. Wir sind alle unterschiedlich, haben verschiedene Werte und Überzeugungen. Und wir alle interpretieren Situationen auf andere Weise. Was für die einen laissez faire ist, ist für die anderen bedürfnisorientiert, was für die einen autoritär ist, ist für die anderen Grenzen setzen. Was wir sehen, sind immer nur Ausschnitte. 

 

Was wir aber wissen, ist, dass ziemlich viele Elternteile immer das beste für das eigene Kind möchte. Und was wir auch wissen, ist, dass Eltern nur laut, aggressiv oder übergriffig handeln, weil sie erschöpft, überlastet, verzweifelt und/oder hilflos sind. 

 

Was können wir also tun?

Wir können freundlich fragen, ob wir irgendwie helfen können. Wir können zuhören. Wir können Gedanken zur Seite stellen, die den Blick öffnen für die Entwicklung des Kindes. Wir können versuchen, den Eltern Freizeit zu verschaffen. Wir können aufhören, zu urteilen. Wir können aufhören, zu denken, dass wir es besser wüssten. Und uns stattdessen bewusst machen, dass auch wir diese Momente haben. Dass ALLE Eltern diese Momente haben. Wir können uns einfühlen und Verständnis zeigen. Freunden können wir Bücher, Podcasts oder Blogs empfehlen - falls sie Interesse haben (Du ich hab neulich einen Podcast zum Thema xy gehört, soll ich dir den mal schicken?). Denn ungefragte Erziehungstipps werden eher auf Abwehr stoßen, als dass sich anschließend der Erziehungsstil ändert. Wir dürfen uns auch davon frei machen, überzeugen oder bekehren zu wollen und Empfehlungen stattdessen als Angebot, als Einladung sehen. Diese Situationen, in denen wir merken, dass wir unterschiedliche Vorstellungen von Erziehung haben, dürfen wir als Einladungen sehen, zu üben, dass es keine Norm gibt. Dass wir uns in unserer Unterschiedlichkeit akzeptieren dürfen.

 

Wann ist Eingreifen notwendig?

Eingreifen ist immer notwendig, wenn wir sehen, dass einem Kind körperliche Gewalt angetan wird. Aber auch in allen anderen Momenten, in denen du spürst, dass das Kind gerade Hilfe braucht, dass es erniedrigt wird. Es gibt einen Grund, warum ein ungutes Gefühl aufsteigt, Kinder können sich in diesen Situationen nicht wehren, es gibt ein Macht- und Kraftungleichverhältnis. Diese Kinder brauchen in diesem Moment jemanden, die*der sie schützt, das Wissen, dass ihr Gefühl darüber, dass sich das falsch anfühlt, richtig ist. Wir dürfen und müssen an diesen Stellen reagieren - im Freundeskreis, bei Fremden, in der Familie, in der Schule, in der Kita,.. - Diesen Moment unterbrechen. Dabei dürfen wir versuchen - egal wie sehr das Adrenalin pumpt - so freundlich und distanziert wie möglich zu bleiben und auch hier reicht oft die freundliche Frage "Braucht ihr Hilfe?" / "Ist alles in Ordnung?".  Vielleicht ein kleines zuversichtliches Lächeln. Diese kleinen Momente können dabei helfen, dass die betroffene Person aus dem Kampf-Flucht-Modus herauskommt. Idealerweise entsteht ein kleines harmloses Gespräch, um das Nervensystem herunterzufahren. (hier weiterlesen zum Umgang mit Wut) In der Kontaktaufnahme sollten wir versuchen, Demütigungen und Übergriffe zu vermeiden, damit das Kind diese dann nicht auch noch ausbaden muss.


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